Die sogenannte Exzellenzinitiative, mit der Bund und Länder deutsche „Spitzenforschung“ fördern wollen, ist auf dem besten Weg, unser Hochschulsystem auf problematische Weise umzugestalten. Seit 2005 wurden die Universitäten in bisher zwei Runden aufgefordert, sich mit Forschungs- und Strukturplänen um beträchtliche Mittel zu bewerben; nun sollen die Wettbewerbe im Sieben-Jahres-Rhythmus verstetigt werden. Zu vergeben sind 533 Millionen Euro pro Jahr, die acht bis elf erfolgreichsten Bewerber können sich „Exzellenzuniversität“ nennen. Das erklärte Ziel lautet, die „vertikale Differenzierung“, also die Ungleichheit zwischen den Hochschulen auszubauen. Wir meinen, dass dies keine gute Nachricht ist. Eine verschärfte Prestigekonkurrenz und Umverteilung von unten nach oben werden Forschung und Lehre in Deutschland insgesamt schaden. Als wissenschaftlich Arbeitende, die davon zum Teil massiv betroffen sind und die ein faires Hochschulsystem der Prestigekonkurrenz vorziehen, wenden wir uns gegen die Exzellenzinitiative. Statt der vermeintlichen „Spitze“ sollten die bestehenden, gegenwärtig bedrohten Vorzüge des deutschen Hochschulsystems gefördert werden: ein hohes Lehrniveau an allen Standorten und breit gestreute Freiräume für innovative Forschung.
Im Einzelnen spricht besonders Folgendes gegen das Programm:
- Die Exzellenzinitiative befördert den Trend zu Pseudo-Märkten im Hochschulsektor. Statt für eine solide Grundfinanzierung zu sorgen, treibt die Wissenschaftspolitik die Forschenden in eine künstlich inszenierte Dauerkonkurrenz um staatliche Mittel. Sie verstärkt damit eine Fassadenkultur der Antragstellung, die Orientierung am Mainstream und prekäre Projekt-Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft.
- Die Situation des wissenschaftlichen „Nachwuchses“ in Deutschland wurde durch die Exzellenzinitiative weiter verschlechtert, weil sie die Zahl der befristeten Stellen unterhalb der Professur vermehrt hat. Wenn zukünftig eher Tenure-Track-Stellen als Projektstellen geschaffen werden, ließe sich der Schaden an den Exzellenz-Standorten eindämmen – allerdings um den Preis, dass sich die dauerhafte Förderung bei einer kleinen Gruppe von Nachwuchsforschenden bündelt, während die schlechte Lage aller anderen durch den Wettbewerb legitimiert wird.
- Bei der angestrebten Hierarchisierung des deutschen Hochschulsystems wird es vor allem Verlierer geben. Die traditionelle Stärke dieses Systems besteht darin, dass an prinzipiell jeder Hochschule auch international sichtbare Spitzenforschung möglich ist. Wird sie an wenigen Standorten gebündelt, drohen die nicht erfolgreichen Hochschulen dauerhaft ihren Status als Forschungsinstitutionen zu verlieren. Grundsätzlich wird die Befreiung einiger Forschender von der Lehre durch erhöhte Lehrbelastung aller anderen erkauft.
- Eine Hierarchisierung der Hochschulen verstärkt soziale Ungleichheit. Internationale Vergleiche zeigen, dass Spitzenhochschulen gewöhnlich der Oberschicht zur Reproduktion dienen. Dass auch beim Lehrpersonal unter Wettbewerbsdruck und verstärkt prekarisierten Beschäftigungsverhältnissen die soziale Herkunft wichtiger wird (und Nachteile von Frauen keineswegs ausgeglichen werden), zeigen neue Studien zu Schließungstendenzen in der Professor/innenenschaft und bei den Juniorprofessuren.
- Schließlich ist der Diskurs der Exzellenz selbst weitgehend wissenschaftsfremd (da er sich vorrangig an äußerlichen Erfolgsindikatoren orientiert) und undemokratisch. Die Selbstverwaltung der Wissenschaft und ihre Selbstkontrolle durch Kritik werden schleichend durch die Anpassung an Märkte, eine Rhetorik des Ausgezeichneten und starker Führung ersetzt.
Wir halten in dieser Situation die Beteiligung am Exzellenzwettbewerb für falsch. Faktisch können sich ihm viele von uns kaum entziehen, weil wir von Hochschulleitungen und Landesregierungen abhängig sind, die erhebliche Hoffnungen und Mittel in Exzellenz-Bewerbungen investieren. Wer sinnvolle Projekte entwickelt und Mitarbeitende fördern will, ist oft darauf angewiesen, dies im Rahmen solcher Strategien zu versuchen. Durch unsere Erklärung wollen wir aber sichtbar machen, dass die Exzellenzinitiative von vielen Forschenden, Lehrenden und Studierenden in Deutschland klar und deutlich abgelehnt wird.
Statt weiter überproportional in die Prestigekonkurrenz zu investieren, sollte die Hochschulpolitik tiefer liegende Probleme angehen: Mittel gegen die strukturelle Unterfinanzierung der Hochschulen bereitstellen, gesicherte Berufsaussichten für Forschende und Lehrende schaffen, Überbelastungen in der Lehre und eigene Forschung verhindernde Hochdeputatsstellen abbauen, Freiraum für wissenschaftliche Innovationen schaffen, soziale Ungleichheiten im Hochschulzugang und auf weiteren Qualifikationsstufen ausgleichen und die demokratische Selbstverwaltung der Wissenschaft stärken. Eine solche Politik käme Forschung und Lehre selbst zugute, statt vorrangig ihre Selbstdarstellung in Anträgen und Erfolgsindikatoren zu unterstützen. Sie könnte unser Hochschulsystem wirklich herausragend machen.
Erstunterzeichnende (in alphabetischer Reihenfolge)
Prof. Dr. Thomas Alkemeyer (Universität Oldenburg), Sportsoziologie
Felix Anderl, M.A. (Goethe-Universität Frankfurt a. M.), Politikwissenschaft
Prof. Dr. Clemens Arzt (Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin), Jura
AStA der Goethe-Universität Frankfurt a. M.
Prof. Dr. Brigitte Aulenbacher (Universität Linz), Soziologie
Sevda Can Arslan, M. A. (Universität Mannheim), Medien- und Kommunikationswissenschaft
PD Dr. Johannes M. Becker (Universität Marburg), Friedens- und Konfliktforschung
Jonas Becker (Goethe-Universität Frankfurt a. M.), Erziehungswissenschaft
Prof. Dr. Thomas Bedorf (FernUniversität Hagen), Philosophie
Prof. Dr. Bernd Belina (Goethe-Universität Frankfurt a. M.), Geographie
PD Dr. Sebastian Berg (Universität Bochum), Anglistik
Prof. Dr. Uwe Bittlingmayer (Pädagogische Hochschule Freiburg), Soziologie
Prof. Dr. Manuela Boatcă (Universität Freiburg), Soziologie
Prof. Dr. Ulrich Brand (Universität Wien), Politikwissenschaft
Prof. Dr. Elmar Brähler (Universität Leipzig), Mathematik/Medizinpsychologie
Prof. Dr. Ulrich Brinkmann (TU Darmstadt), Soziologie
Prof. Dr. Ulrich Bröckling (Universität Freiburg), Soziologie
Prof. em. Dr. Micha Brumlik (Berlin), Erziehungswissenschaft
Prof. Dr. Sonja Buckel (Universität Kassel), Politikwissenschaft
Bundeskonferenz der Sprachlehrbeauftragten
Jan Cloppenburg, B. A. (HU Berlin), Wissenschaftsforschung
Prof. Dr. Michael Corsten (Universität Hildesheim), Soziologie
Prof. Dr. Nina Degele (Universität Freiburg), Soziologie
Apl. Prof. Dr. Alex Demirović (Goethe-Universität Frankfurt a. M.), Soziologie
Marie Diekmann, Dipl. jur. (Goethe-Universität Frankfurt), Rechtswissenschaften
Prof. Dr. Silke van Dyk (Universität Jena), Soziologie
Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani (Fachhochschule Münster), Sozialwesen
freier zusammenschluss von student*innenschaften (fzs) e.V.
Dr. Michael Frey (Goethe-Universität Frankfurt a. M.), Soziologie
Dr. Angela Graf (TU München), Soziologie
Dr. Stefanie Graefe (Universität Kassel), Soziologie
Prof. Dr. Andreas Gruschka (Goethe-Universität Frankfurt a. M.), Erziehungswissenschaft
Linda Guzzetti (Berlin), AG Sprachlehrbeauftragte
Prof. i. R. Dr. Michael Hartmann (TU Darmstadt), Soziologie
Prof. Dr. Sabine Hark (HU Berlin), Gender Studies
Prof. em. Dr. Jürgen Helmchen (Berlin), Erziehungswissenschaft
Hilfskraft-Initiative Frankfurt a. M.
Assistant Prof. Dr. Jana Hönke (Universität Groningen), Politikwissenschaft
Prof. Dr. Jochen Hörisch (Universität Mannheim), Germanistik und Medienwissenschaft
Dr. Philip Hogh (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg), Philosophie
Initiative „Für Gute Arbeit in der Wissenschaft“ in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie
PD Dr. Anne Maximiliane Jäger-Gogoll (Universität Siegen/Universität Marburg), Germanistik
Prof. Dr. Reiner Keller (Universität Augsburg), Soziologie
Prof. Dr. Fabian Kessl (Universität Duisburg-Essen), Erziehungswissenschaft
Prof. Dr. Klaus Peter Kisker (FU Berlin), Volkswirtschaftslehre
Dr. Kai Koddenbrock (RWTH Aachen/ MPifG Köln), Politikwissenschaft
Dr. des. Julia König (Goethe-Universität Frankfurt a. M.), Erziehungswissenschaft
Prof. Dr. Cornelia Koppetsch (TU Darmstadt), Soziologie
Prof. Dr. Stefan Kühl (Bielefeld), Soziologie
Prof. Dr. Verena Krieger (Universität Jena), Kunstgeschichte
Dr. Andrea Lange-Vester (Hochschule Hannover), ZWS Studium und Lehre
Prof. Dr. Thomas Lemke (Goethe-Universität Frankfurt a. M.), Soziologie
Dr. Martin List (FernUniversität Hagen), Politikwissenschaft
Prof. Dr. Ingrid Lohmann (Universität Hamburg), Erziehungswissenschaft
Dipl. Pol. Sascha Lohmann (Goethe-Universität Frankfurt), Politikwissenschaft
Dr. Daniel Loick (Goethe-Universität Frankfurt a. M./New School New York), Philosophie
Prof. Dr. Michael Lüthy (Bauhaus-Universität Weimar), Kunstgeschichte
Dr. Jens Maeße (Universität Gießen), Soziologie
Prof. Dr. Margit Mayer (FU & TU Berlin), Politikwissenschaft
Prof. Dr. Gisela Mettele (Universität Jena), Geschichtswissenschaft
Daniel Meyer (Universität Jena), Soziologie
Mittelbauinitiative Dresden (mid)
Mittelbauinitiative Leipzig (MULE)
Dr. Christina Möller (Universität Paderborn), Soziologie
Dr. Jan Müller (Universität Basel), Philosophie
Prof. em. Dr. Richard Münch (Universität Bamberg), Soziologie
Netzwerk „Prekäres Wissen“
Dipl.-Ing. Dr. Wolfgang Neef (Berlin), Ingenieurwissenschaften/Soziologie
Jannik Pfister, M. A. (Goethe-Universität Frankfurt a. M.), Politikwissenschaft
Prof. em. Dr. Ludwig Pongratz (TU Darmstadt), Pädagogik
Prof. Dr. Clemens Pornschlegel (LMU München), Germanistik
Dr. Heike Raab (Universität Innsbruck), Disability Studies
Dr. habil. Dagmar Rayanagam LMU München), Indologie
Prof. Dr. Tilman Reitz (Universität Jena), Soziologie
Prof. Dr. Birgit Riegraf (Universität Paderborn), Soziologie
Prof. Dr. Steffi Richter (Universität Leipzig), Japanologie
Jan-Christoph Rogge (WZB, Berlin), Soziologie
Prof. Dr. Roland Roth (Berlin, ipb), Politikwissenschaft
Prof. em. Dr. Werner Ruf (Kassel), Politikwissenschaft
Prof. em. Dr. Fritz Sack (Hamburg), Kriminologie/Soziologie
Dr. Martin Seeliger (MPIfG Köln), Soziologie
Prof. Dr. Christoph Scherrer (Universität Kassel), Politikwissenschaft
Prof. Dr. Werner Schiffauer (Europa-Universität Viadriana, Frankfurt/Oder), Kultur- und Sozialanthropologie
Prof. Dr. Felicitas Schmieder (FernUniversität Hagen), Geschichtswissenschaft
Dr. des. Thomas Schroedter (Universität Paderborn), Soziologie
Prof. Dr. Evelyn Schulz (LMU München), Japanologie
Georg Simmerl (HU Berlin), Kulturwissenschaft
Prof. Dr. Thomas Sokoll (FernUniversität Hagen), Geschichtswissenschaft
Prof. Dr. Urs Stäheli (Universität Hamburg), Soziologie
Dr. Felix Trautmann (Goethe-Universität Frankfurt a. M.), Philosophie
Prof. Dr. Christian Uhl (Universität Gent), Japanologie
Dr. Dr. Peter Ullrich (TU Berlin, ipb), Soziologie
Unter_bau, Initiative Hochschulgewerkschaft Frankfurt a. M.
Prof. em. Dr. Michael Vester (Universität Hannover), Politikwissenschaft
Prof. Dr. Anne Waldschmidt (Universität Köln), Disability Studies
Dipl.-Soz. Anja Weber (TU Dresden), Soziologie
Dorothea Wehrmann, M. A. (Bielefeld), Amerikanistik
Prof. Dr. iur. Felix Welti (Universität Kassel), Sozialrecht
Prof. Dr. Michael Wimmer (Universität Hamburg), Erziehungswissenschaft
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